19. März 2000

Ein Wiedersehen

Was die Welt im Innersten zusammenhält? Es ist die Lust. Sie gewährleistet nicht nur den Fortbestand der Menschheit, sondern markiert zugleich den intimsten Bereich eines jeden Menschen. Meist bleibt sie verborgen, doch holt man sie an die Öffentlichkeit, drängen sich die Leute, sie anzuschauen. Was passiert dann mit ihr? Verkommt sie zum Tapetenmuster oder schafft sie dionysische Zustände? Lässt sich Erotik inszenieren? Oder wird sie einem noch größeren Dämon geopfert: dem Kommerz?

Der Verfasser hat sich umgesehen. Vieles von dem, was die Aussteller feilbieten, wäre auch auf dem Hamburger Fischmarkt oder in einer beliebigen deutschen Fußgängerzone zu erwerben gewesen: Haarverlängerung, Shirts, Kosmetik, Edelsteine und Naschwerk. Deutlicher immerhin geraten die Angebote zu Piercing, Tattoo und Bodypainting, Stände mit Dessous, Lack- und Lederkleidung sowie Dildos, vibrierende Vaginas, Plastikpuppen, Handschellen und derlei. Doch ist die Auswahl auf dem Kiez größer, manche Performance dort besser.

So gibt es hier vor allem Skurrilitäten aufzulesen. Etwa: „Pussy-Glide“, den „wollüstig-schlüpfrigen Liebessaft“. Der Beipackzettel verspricht: „Vor dem Verkehr – also noch während des Vorspiels – etwa jeweils die Menge eines Kaffeelöffels mit der Hand sanft über den gesamten Intimbereich der Frau sowie beim Mann über das ganze Glied verstreichen. Die Organe werden dadurch feucht und äußert schlüpfrig, wie sonst nur in den seltenen Augenblicken höchster Erregung. Gegebenenfalls kann die Anwendung mehrmals wiederholt werden.“ Wie schön. Oder sind Sie vielleicht an „Dauer-Bumser-Dragees“ interessiert? Man glaubt es nicht und hält es doch in den Händen. Offenbar hat Erotik eine Tendenz, nach Peinlichkeit und Zynismus umzuschlagen.

Während nachmittags vorwiegend Männer mittleren Alters, nach Büroschluss, mehr oder weniger verstohlen nach raffinierten Dessous und entblößter Haut schauen, frönen wenigstens die besseren Veranstaltungen am Abend dem Geist der Libertinage. Publikum, Bühnenakteure, Aussteller und Veranstalter teiten die Bereitschaft zur erotischen Empfindung. Neuigkeiten gibt es naturgemäß nicht, dafür aber durchaus manches Amüsement. Und am Ende behält Karl Kraus einmal mehr Recht: „Erotik ist immer ein Wiedersehen. Sie zieht es sogar der ersten Begegnung vor.“

Glosse | Über den Versuch, Erotik in der Öffentlichkeit auszustellen | NOLLS PASSAGE